27/28. August 2016
Drei Monate durch Kanada sind natürlich der Hammer. Drei Wochen durch Norwegen mit guten Freunden sind super. Aber was mich eigentlich das Jahr über am Leben erhält sind die kleinen Touren übers Wochenende. Hab ich eine stressige Arbeitswoche hinter mir gibt’s nichts schöneres, als am Freitag Abend die Taschen zu packen und übers Wochenende in den Wald zu verschwinden. Und für dieses Wochenende habe ich mir ein neues Plätzchen zum Übernachten ausgesucht.
Vor zwei Jahren (oder so in etwa) fuhr ich über Midsommar eine Tour rund im Falun in Dalarna / Hälsnigland, um einige im Internet erwähnte Aussichtstürme zu besuchen. Ich bin ja gerne ganz oben, stehe gerne hoch über dem Boden und finde weite Aussichten einfach Klasse. Bei dieser Tour kam ich damals auf den Spjärshällen, mit fast 500m üNN der höchste „Berg“ im weiten Umkreis. Dort oben gibt’s nicht nur den kleinen Aussichtsturm, sondern auch eine Windschutzhütte (schwed. Vindskydd) mit Feuerstelle – perfekt zum Übernachten auch ohne Zelt.
GPS: N60 54.492 E15 52.039
Am Freitag abend komme ich erst gegen 18:00 von einer Arbeitsreise aus Örnsköldsvik in Nordschweden zurück, deshalb ist leider nicht daran zu denken den Abend noch zum Fahren zu benutzen. Die Taschen sind aber schnell gepackt, ich hab ja Routine und diesmal kommt außerdem nur das notwendigste mit. Ausgiebige Wanderungen wie im Sommer in Norwegen sind nicht geplant, also komme ich auch mit einem Minimum an Kleidung aus. Die restliche Ausrüstung ist eigentlich immer die gleiche, egal ob für drei Tage oder drei Wochen. Einen Fehler mache ich aber: ich nehme nur den dünnen Daunen-Sommerschlafsack mit denn die Nächte sollen warm bleiben. Im Nachhinein wäre dann der Drei-Jahreszeiten-Schlafsack doch besser gewesen, immerhin ist es schon Ende August und ich bin ja auf 500m. Aber der hätte mehr Platz gebraucht, deshalb die dünne Daunentüte.
Samstag morgen sitze ich wie immer um 9:00 Uhr schon auf dem Motorrad. Für solche Touren auf kleinen Strässchen und Waldwegen, mit so viel Schotter wie möglich, nehme ich natürlich die CCM 450 GP Adventure. Die Tagesentfernung wird auf irgendwas zwischen 250 und 300km hinauslaufen. Damit das zeitlich in erträglichem Rahmen bleibt muss die Kleine diesmal doch bis fast Uppsala auf die Autobahn. Normalerweise mag ich dieses langweilige Fahren überhaupt nicht, vor allem aber möchte ich dem kleinen Motörchen keinen hohen Dauerdrehzahlen zumuten – auf langjährige erfolgreiche Zusammenarbeit. Ausserdem nervt heute der stürmige Wind ungemein, es rappelt am Helm und das Fahren macht so überhaupt keinen Spass!
Nördlich von Uppsala dann aber Landstrasse. Noch einige Kilometer Asphalt, dann beginnt der Spass auf den kleinen Schotterstrassen richtig. Obwohl ich diese Strecke schon öfters gefahren bin, finde ich immer noch neue Varianten auf kleinsten Wegen. Eine nette Linie auf dem GPS entpuppt sich aber als fast völlig zugewachsener Waldweg. Kein Wunder, am anderen Ende versperrt ein Schlagbaum den Weg – und dank tiefer wassergefüllter Gräben auf beiden Seiten ist hier kein Durchkommen. Ich muss umwenden. Bei der Gelegenheit freue ich mich wieder mal über die wenigen 160kg der CCM.
Bald bin ich am Dalälven, der hier im Nationalpark Färnebofjärden eher wie ein grosser See ausschaut und nicht wie ein Fluß. Und du meine Güte, was der Wind hier bläst! Der Schönwettersturm zaubert tatsächlich richtige Wellen mit Schaumkronen auf die weiten Wasserflächen!
Nächster Stop wird das Skigebiet Kungsberget. Die meisten Skigebiete Schwedens – vor allem die im flachen Süden – sind mit denen der Alpen ja überhaupt nicht zu vergleichen. Aber hier hat man immerhin eine 1600m lange Abfahrt mit ein Paar Hundert Höhenmetern. Ich überlege noch, parallel zur Seilbahn die Offroad-Piste hinauf zu fahren, aber ne… Mit Gepäck? Das ist echt deftig steil und ausserdem an den steilsten Stellen loser, angewaschener Schotter und Sand. Ich lass das und fahr stattdessen die geteerte Weicheier-Variante hinauf. Immerhin ist die Aussicht toll, auch wenn hier mal wieder überall gebaggert wird…
Je weiter nördlich ich komme, desto einsamer wird die Gegend. Kaum mehr begegnet mir ein Auto. Aber wenn da kommen die immer in Kurven – wieso eigentlich? Man darf sich wirklich nicht dazu verleiten lassen, die Kurven zu schneiden, denn garantiert dann kommt so ein Volvo um die Ecke, oder schlimmer ein LKW. Irgendwie hab ich aber dafür einen siebten Sinn und höre auf meine Vorahnungen. Funktioniert komischerweise öfters als mir lieb ist, aber eigentlich ist das ja auch gut so. Immerhin sind mehrere meiner motorradfahrenden Bekannten dieses Jahr mit einem Auto kollidiert oder fast zusammengestoßen!
Jetzt also noch das letzt deftige Stück Traktorweg hoch zum Berggipfel! Eigentlich ist das ja mehr ein Wanderweg, man könnte diskutieren ob ich hier überhaupt fahren darf, aber es ist so steinig dass ich nichts zerstöre. Und da auch keiner da ist, der sich gestört fühlen könnte, arbeite ich mich auch die letzten 400m über Stock und Stein bis auf den Gipfel. Und das lohnt sich: die Aussicht ist einfach gewaltig! Den Abend verbringe ich dann – wie passend! – mit der neusten Ausgabe der „MotorradAbenteuer“ und einem Becher Wein oben auf dem Turm. Um 21:30 ist es jetzt wirklich dunkel, die Batterien meiner Stirnlampe sind fast leer, also Schlafenszeit!
Am nächsten Morgen um 5:30 bin ich wieder wach. Da ich das Innenzelt meines 20 Jahre alten The North Face Mayfly innen im Vindskydd aufgestellt hatte, blieb ich vor Insekten völlig verschont und habe eine geruhsame Nacht hinter mir. Super geschlafen! Keine Minute, nachdem ich an diesem Morgen zum erste Mal auf den Turm gestiegen bin, geht im Osten die Sonne auf. Ja, ich bin positiv überrascht, denn laut Wetterbericht sollte es jetzt eigentlich bewölkt sein. Schön, wenn die sich mal in diese Richtung täuschen!
Bereits um 8:00 bin ich startklar. Die CCM startet sofort und problemlos, es sind nur 8 Grad und alles ist feucht – so soll es sein! Ich eiere vorsichtig über den steinigen Fussweg die 400m runter bis zum Waldweg, beschliesse dann aber sicherheitshalber erst mal die nächste Tanke in Svärdsjö anzufahren. Danach wird dann einfach routenmässig improvisiert, die rote Linie auf meinem GPS ist ja sowieso nur als Anhaltspunkt gedacht.
Dieser Landesteil Schwedens hat ja einiges an interessanter Industriegeschichte zu bieten, vor allem wenn es um die Eisenherstellung geht. Eisenerz, viel Holz, Transportwege übers Wasser und teilweise deutsches Know-How verhalfen Schweden zum Wandel von der Agarar- zur Industrienation. In Korsa Bruk kann man heute noch gut sehen, wie damals Eisen verarbeitet wurde Mehrere wassergetriebene Schmiedehämmer waren damals bestimmt „high tech“. Mit 300 Einwohnern war Korsa in den 1870iger Jahre ein richtiges Industriezentrum, gelegen mitten im Wald und noch völlig ohne Wegeanschluss! Erst 1874 baute man eine von Pferden gezogene Bahn um die Eisenbarren zu den Seen zu transportieren, von wo aus es dann mit dem Schiff weiter ging. Was hab ich’s doch einfach heute: Startknopf drücken, rechts drehen und schon fliege ich mit 70km/h über die Schotterstrassen….
Einen weiteren netten Stop lege ich bei der Mühle Bergs Kvarn ein. In einem der Gebäude gibt’s Kaffee und Kuchen (wer sagt hier, dass man nicht Kuchen zum Mittagessen verzehren darf?) und in der Mühle selbst einen Trödelladen. Solche „Loppis“ sind in Schweden total beliebt. Ich glaube ich muss da öfters mal stöbern: zunächst finde ich ein neues Reibeisen für Käse, Karotten und ähnliches, aus Blech und unbenutzt. Für 20SEK = 2 Euro ist es meines. Und dann entdecke ich noch einen wunderschönen Wasserkessel, aber der ist richtig „teuer“: stolze 100 Kronen kostet der! Ich finde ihn so schön, dass ich schon noch irgendwie Platz machen werde in meinen Taschen. Schade nur, alle Gerätschaften in der Mühle sind noch intakt, aber leider ist sie völlig zugestellt mit Trödel.
Als ich wieder am Fluss Dalälven bin, erwartet mich aber eine Enttäuschung: vor zwei drei Jahren konnte man hier noch über die stillgelegten Eisenbahnbrücken fahren. So ein bisschen erinnerte mich das an Bilder aus Sibirien, die man in anderen Reiseberichten gesehen hat. Oder an meine eigene Fahrradtour damals in British Columbia auf der stillgelegten Kettle Valley Railway. Aber wer ist jetzt auf die idiotische Idee gekommen, hier ein neues Geländer auf den Brücken zu bauen, das so schmal ist daß gerade mal eine Person durch kommt? Die Lücke zwischen den Balken hat genau NICHT die notwendige Lenkerbreite. Oh Mann eeejjj, ich hatte mich so drauf gefreut!
Jetzt wird doch langsam das Wetter schlechter, die ersten Tropfen fallen, der Wetterbericht hatte also doch recht – nur sind die Wolken etwas später dran. Na gut, ich fahre jetzt nur noch grössere Strassen, die kleinen Weg hier kenne ich sowieso schon alle. Trotzdem zieht sich das hin bis nach Hause und erst kurz vor 18:00 steht die CCM wieder in der Garage.
Was für ein herrliches Wochenende! Nach einem relaxten Abend und einer ruhigen Nacht draussen im Wald sind die Batterien wieder geladen für die kommende Arbeitswoche. Die beginnt heute am Montag übrigens mit Dauerregen. Glück gehabt! Bald kommt der Herbst, die Tourensaison ist noch lange nicht zu Ende!
Stockholm – Spjärshällen 334km, 9 Stunden Reisezeit incl Pausen
Spjärshällen – Stockholm 324km, 10 Stunden
Die Tracks zur Tour gibts auf Anfrage per email!