Reisebericht kompakt: Höga Kusten / Hohe Küste

Geologische Prozesse brauchen normalerweise Zeit. Viel Zeit! Kontinentalplatten kollidieren, Gebirge werden aufgetürmt und dann über Millionen von Jahren von Wind und Wasser wieder abgetragen. Schnell geht das nicht gerade. Ganz anders hier an der Küste in der Mitte Schwedens! Als die letzte Eiszeit ungefähr 1.5km Eis über dem Land ablagerte, wurde die Erdkruste durch dessen Gewicht tief eingedrückt. Das Schmelzen des Eises vor ca 10.000 Jahren ging dann vergleichsweise sehr schnell und seither federt die Erdkruste zurück. Auch heute noch hebt sich das Land mehrere Zentimeter in Hundert Jahren, was geologisch betrachtet geradezu rasend schnell geht – die eiszeitliche Küstenlinie liegt heute stellenweise 300m über dem Meeresspiegel! Aus diesem Grunde wurde die Gegend an der Küste zwischen Sundvall und Umeå, die als Höga Kasten (die Hohe Küste) bezeichnet wird, auch vor einigen Jahren zum UNESCO Weltnaturerbe ernannt. Leider bedeutet ein Besuch für mich ungefähr 500km einfache Fahrt, ist also einem normalen Wochenende kaum zu machen. 2017 habe ich aber das lange Wochenende des Nationalfeiertages (6. Juni) zu einem Besuch mit der Africa Twin benutzt. Dazu im folgenden einige Bilder und ein Reisebericht!

Am Samstag fahre ich also mit der Afrika Twin Richtung Norden. Bis Uppsala zunächst noch Autobahn um etwas Strecke zu machen, dann aber wie immer kleine Landstrassen. Die originalen Reifen habe ich ja bereits kurz nach dem Kauf der AT gegen die bewährten Heidenau K60 Scout getauscht, also kann ich jetzt auch problemlos asphaltfreie Strassen unter die Räder nehmen.

Vor einiger Zeit hatte ich von einer 35km lagen Flösserrinne gelesen. Sie beginnt nördlich von Söderfors und endet bei einer Papierfabrik östlich von Gävle. Über einige Kilometer läuft ein fahrbarer Schotterweg parallel. Da Wasser aber nie freiwillig bergauf fliesst, musste man die Rinne perfekt an das Gelände anpassen. Dort wo man nicht einen Graben anlegen konnte, wurde eine Holzrinne gebaut, die auf Betonpfeilern Höhenunterschiede ausgleicht. Streckenweise geht diese Rinne in mehreren Meter Höhe quer über einen See! Da ich den umfahren musste, wurde die Strecke etwas abenteuerlich: die Rinne wird auf einem nicht ganz vertrauenswürdigen Holzsteg überqueren…

Nördlich von Gävle gehts dann ab in den Wald – man merkt dass man langsam in dünner besiedelte Gegenden Schwedens kommt. Am späten Nachmittag bin ich dann endlich an der Höga Kusten. Ich brauche noch Vorräte für die nächsten Tage und gehe schoppen in einem kleinen Supermarkt. Die Überraschung als ich wieder rauskomme: da steht eine alte, gut eingefahrene Africa Twin – Treffen der Generationen. Kurz drauf kommt auch deren Besitzer und wir fachsimpeln eine Weile.

Auf dem Weg zum Nationalpark überquert man entweder die imposante Höga Kusten Brücke, oder muss viele Kilometer landeinwärts fahren, bis zur alten Brücke.

Die Hohe Küste nördlich von Sundsvall ist mittlerweile wie gesagt UNESCE Weltnaturerbe – völlig zurecht! Mittendrin liegt der wunderbare Nationalpark Skuleskogen. Der Park hat drei Zugänge. Ich will diesmal den südlichen nutzen, denn vom Parkplatz sind es nur 800m bis zu einer Meeresbucht an der man ganz offiziell wunderbar zelten darf. Bei meinem letzten Besuch – mit Auto und zu Fuss – habe ich ausserdem entdeckt, dass man mit dem Motorrad nochmal näher an den Strand kommt – es gibt zwar eine Schranke die aber umfahrbar ist, nur Rollstuhlfahrer die nahe an’s Wasser wollen bekommen den Schlüssel. Und so schummle ich ein bisschen, quetsche mich zwischen Schranke und Steinblock durch und parke das Motorrad auf dem Rollstuhlfahrer-Parkplatz. Ja, ich werde ja rot und schäme mich, ein wenig zumindest. Aber auch so muss ich noch zweimal die 400m zwischen Motorrad und Strand hin und her gehen, bis alles vor Ort ist was ich für die Nacht brauche. Zu meiner Überraschung bin ich auch nicht der einzige der hier zelten möchte – am Strand verteilen sich ein gutes Dutzend Zelte!

Der Nationalpark Skuleskogen besteht aus einem stark zerklüfteten Hochplateau. Die höchste Strandlinie liegt heute fast 300m über Meeresspiegel und das Hochplateau nochmal ein Stück darüber. Quer durch den Park geht der Weitwanderweg Höga Kustenleden – anstrengende 129km. Nein, so weit will ich nicht gehen, aber eigentlich war die Idee am nächten Morgen zum Sonnenaufgang auf dem Plateau zu stehen. Vom Zeltplatz aus brauche ich dafür eine geschätzte Stunde. Den Plan gebe ich direkt wieder auf, als ich auf der Sonnenscheindauer-App sehe, wann hier oben Sonneaufgang ist: 3:30? Ne, so früh komme noch nicht mal ich aus dem Schlafsack! Ich gehe also erst um 6:00 los, aber auch das reicht noch für herrliches Fotolich mit Aussicht auf die See und fast bis Finnland auf der anderen Seite!

Diese Steinfelder hat das Meer vor vielen Tausend Jahren angelegt. Kaum zu glauben dass hier oben mal die Brandung an die Küste schlug!

Sehe ich da hinten etwas Finland? Ne, das reicht nicht ganz. Noch nicht! Aber in ein Paar tausend Jahren vielleicht schon!

Heute am Sonntag will ich ein bisschen klettern. Aber erstmal wird gepackt und ich muss wieder an der Schranke vorbei – oder auch nicht, denn ich entdecke dass es auch eine alternative motorradfreundliche Einfahrt gibt, die nur durch niedrige Steinblöcke abgesperrt ist! Hoppla…! 🙂

Ganz in der Nähe liegt der monumentale alleinstehende Berg Skuleberget. Immerhin fast 300m hoch ist der Brocken, nach Westen geht eine Skiabfahr hinunter und obendrauf gibts ein Cafe. An seiner Ostseite wurden mittlerweile mehrere Klettersteige durch die Steilwand angelegt. Vor einigen Jahren, als es nur einen gab, habe ich den bereits mit meiner Nichte Simone durchstiegen. Heute sind es vier Stück in verschiedenen Schwierigkeitsgraden. Ich nehme mir den zweitschwierigsten (roten) vor, der härteste (schwarze) ist leider nach der Wintersperre noch nicht wieder freigegeben. Aber auch der rote hat einige nette spannende Stellen, mit herrlich viel Luft unter den Füssen. Gäbe es keine feste Stahlseilsicherung und keine Metallstifte als Tritte wäre dies hier eine ernsthafte Kletterei. Ich geniesse die herrliche Aussicht und bin im Moment wohl der einzige Kletterer in der Route.

Da ich früher auch „richtig“ Sportklettern ausgeübt habe ist das hier eine kalkulierbares und eher niedriges Risiko für mich, ich weiss was ich ohne Zuhilfenahme der Stifte klettern kann und wo ich besser aufs Metall zugreife. Nach einer guten Stunde bin ich oben. Der Tag ist noch jung, also schnell den steilen Wanderweg runter und dann nochmal hoch, diesmal auf einer etwas leichteren Route. Unterwegs dann Gegenverkehr – eine Frau meines Alters ist leicht zitternd abwärts unterwegs, sie hat sich wohl übernommen. Ich mache ihr Mut, biete ihr meine Hilfe an (die sie ablehnt) und lobe sie für die weise Entscheidung rechtzeitig abzubrechen. Während der Aufstieg für mich eigentlich kein grosses Problem darstellte spüre ich meine leicht ausgeleierten Knie aber jetzt beim zweiten Abstieg umso mehr – das reicht für heute. Einen dritten Aufstieg müsste ich mit Seilbahnabfahrt kombinieren – aber die führt zur falschen Seite.

Mein Motorrad durfte ich direkt an der Kasse des Klettersteigbetreibers parken. Damit kann ich ziemlich sicher sein, dass auch noch alles an Ausrüstung da ist, als ich wieder zurück bin. Leider ist dies ein grosser Nachteil von Weichtaschen, die aber durch den grossen Vorteil des geringeren Gewichtes und des geringern Verletzungsrisikos bei einem Unfall das Diebstahlrisiko wieder wettmachen.

Den Nachmittag erkunde ich schliesslich mit dem Motorrad die Gegend und finde einige herrliche Strassen. Morgen soll es regnen – also buche ich mir eine einfache Campinghütte auf dem Campingplatz Hårsång. Der Besitzer sieht das recht locker, er will morgen vorbeikommen zum kassieren. Alles Vertrauenssache! Am Montag dem 5. Juni, der Tag vor dem schwedischen Nationalfeiertag, hatte ich mir ein besonderes Besuchsziel vorgenommen – das Militärmuseum in der Küstenartilleriestellung Hemsö Fästning nördlich von Härnösand. Laut webpage sollte die Anlage jetzt im Juni offen sein. Auf telefonische Anfrage teilt man mir jedoch mit dass man im Moment mit Bauarbeiten beschäftigt ist und deshalb die Anlage 2017 noch nicht geöffnet wurde. Sehr schade, jetzt wäre ich schon mal hier… In der Nacht fängt es wirklich zu schütten an. Gut dass ich Lesematerial dabei habe: Ausschlafen, Frühstück, Lesen, Morgennickerchen, Lesen, Essen… So wird es Nachmittag. Dann aber hört der Regen auf und ich will noch eine Runde fahren und etwas gehen. Weiter nördlich liegt das Naturschutzgebiet Rotsidan.

Gut 10km Strandlinie wurden hier unter Schutz gestellt, zum grossen Teil blanke Felsen mit einigen bizarren Bäumen. Ich parke die AT auf dem Besucherparkplatz und erkunde den Strand. Mittlerweile zeigt sich auch immer mehr blauer Himmel! Auf dem Weg zurück zum Campingplatz Hårsång kann ich gar nicht genug bekommen von diesem herrlichen Abendlicht – und es ist immer irgendwie besonders nach einem Regentag!

Nationalfeiertag, Dienstag 06. Juni 2017. Heute habe ich die lange Strecke heimwärts vor mir. Ich suche mir wie immer die kleinstmöglichen Strassen aus, gerne auch ohne Asphalt. Viel Wald, einige kleine Weiler, herrliches Wetter, um die 20 Grad. Perfekte Bedingungen zum Motorradfahren. Erst am Abend um 8:00 bin ich zu Hause, gut 600km werden es heute. Schade dass die Höga Kusten etwas zu weit entfernt liegt für ein normales Wochenende. Ich war ja schon öfters hier, auch im Anschluss an Dienstreisen zu Kunden in der Gegend um Sundsvall, aber nun hatte ich endlich die Chance hier ein herrliches Wochenende mit dem Motorrad zu verbringen.

UNESCO Weltnaturerbe Höga Kusten – mein Tip für alle durchreisenden Motorradfahrer – ein Extratag lohnt sich!

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