Tiveden Nationalpark – ohrenbetäubende Stille!
24.-26.Sep2016
Meine Güte, ist das still hier! Ab und zu zwitschert mal ein Vögelchen. Und vielleicht einmal in zwei Stunden höre ich ein Flugzeug hoch über mir. Ansonsten keinerlei Zivilisationsgeräusche. Und sogar mein Handy ist völlig verstummt: keine emails, keine SMS – hier gibt es fast überall Null Signal! Und das mitten in Schweden! Ich sitze am Lagerfeuer, nur wenige hundert Meter nördlich des Nationalparks Tiveden, etwas östlich des Vätternsees nördlich von Karlsborg. Dieses Lager ist ein Etappenziel des Fernwanderwegs Bergslagsleden, liegt direkt an einem kleinen See (mit Trinkwasserqualität!), hat eine Windschutzhütte und zwei Feuerstellen, ausreichend Platz für mehrere Zelte und man kann mit dem Auto oder dem Motorrad bis auf 200m heranfahren. Das beste aber: im Rahmen des schwedischen Jedermansrechts (Allemansrätten) ist er für Jedermann kostenlos nutzbar. Für den Unterhalt sorgt die Kreisverwaltung, die sogar regelmässig Brennholz heranschafft und das Plumpsklo entleert. In Deutschland undenkbar!
Gestern bin ich mit der neuen Afrika Twin über kleine Asphalt- und Schotterstrassen 330km von Stockholm hierher gefahren, was in etwa 7 Stunden Reisezeit entspricht. Alleine das lässt schon Rückschlüsse über die herrlichen kleinen schwedischen Strässchen zu. Ausserdem mussten natürlich noch ein Paar Geocaches geloggt werden. Wie immer hatte ich die Route nur grob fürs GPS vorgeplant. So bleibt immer noch Raum für ein Paar Überraschungen!
So zum Beispiel dieser Bahnhof. Hier wurden einige Szenen des äusserst bizarren und höchst erfolgreichen Romans „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ von Jonas Jonasson verfilmt. Im Roman gibt es hier eine Kühlkammer, in der der Protagonist einen Drogendealer einsperrt und vergisst. Leider ist der am nächsten Morgen ziemlich tödlich cool…
Mit der AT geht teilweise über einige holprige Waldwege, was trotz 232 Kilos vollgetankt plus Gepäck überraschend gut geht. So komme ich zu einem Geocache, das einer auf einen Felsen gemalten gehörnten Katze gewidmet ist. Das ganze war wohl ein Streich zweier Knechte, die mit der teuflischen Katze eine Magd erschrecken wollte. Wirklich spannend, was man durchs Geocoachen so alles entdecken kann!
Da die Gegend ja zum schwedischen Bergbau- und Eisenrevier Bergslagen gehört, trifft man auch hier überall auf industriehistorische Spuren, zum Beispiel Grevens Bruk, einer Eisenhütte die heute aber längst stillgelegt ist.
Und gerade als ich denke „Jetzt wird’s Zeit für einen Kaffee!“ zieht links an einer Holzscheune ein Schild „Bilmuseum och Cafe“ vorbei. Ich drehe um und schaue mir das winzige private Automuseum an – nebenbei werde ich auch noch auf einen Kaffee und Apfelkuchen eingeladen. Besonders angetan hat es mir das Ural-Seitenwagengespann des Museumsbesitzer. Sowas wäre ja auch noch mal interessant! Am Garagentor festgenagelt ein Schild mit einem gelben H auf blauem Grund: H für Höger = Rechts. 1967 standen diese Schilder überall am Strassenrand, denn Schweden hatte gerade von Links- auf Rechtsverkehr umgestellt und daran musste man die Autofahrer noch einige Monate lang erinnern.
Am Spätnachmittag bin ich dann endlich am Nationalpark-Infozentrum, ziehe mich schnell um vom Biker zum Hiker und nutze die letzten zwei Stunden vor Sonnenuntergang für eine kleine Wanderung zur Stenkällan, der Steinquelle. Die letzte Eiszeit hat hier einige imposante Felsen von der Grösse von Einfamilienhäusern liegen gelassen und vergessen. Mittlerweile ist natürlich alles von Wald, Flechten und Moosen bedeckt und man könnte meinen, jeden Moment käme Merlin um die Ecke. Oder vielleicht eine Elfe aus dem Herr der Ringe?
Den Abend verbringe ich dann zusammen mit drei Fahrradfahrern am besagten Lagerfeuer. Ziemlich cool, daß ich als Deutscher den Schweden noch einiges an Tips mitgeben kann für andere tolle Übernachtungsstellen in der „Wildnis“!
Der nächste Tag ist dann Wandern angesagt. Bereits um 8:00 gehe ich vom Camp zur Nationalparkgrenze und laufe 12km der gut markierten Wanderwege zur grossen und kleinen Trollkirche ab – das sind zwei Felsplateaus im urwaldähnlichen Wald. Überhaupt ist die Gegend alles andere als flach, hier kommen einige Höhenmeter zusammen, auch wenn das hier nicht mit deutschen Mittelgebirgen mithalten kann.
Am Abend sind die Radfahrer dann weg und der zweite Abend gehört der Lagerplatz mir völlig alleine. Heute wird richtig gekocht und in guter alter Tradition nimmt meine legendäre Outdoor-Küche gute zwei Meter der Sitzbank ein. Man will ja nicht immer nur Bratkartoffeln oder Gulasch aus der Dose! 🙂
Rechtzeitig bevor es dunkel wird ist das Brennholz fürs Lagerfeuer gesägt und gehackt. Über mir ein herrlicher Sternenhimmel, wie man ihn in der Stadt nie sehen wird. Links, rechts und hinten absolute Dunkelheit, aber trotzdem fühle ich mir hier sicherer als auf dem Nachhauseweg von der U-Bahn in Stockholm.
Gestern dann der Heimweg. Diesmal improvisiere ich bei der Routenwahl noch etwas mehr und erlebe mehrere tolle Überraschungen im Zusammenhang mit Geocaches. Schon mal ne Gletschermühle gesehen, oder wie das hier viel netter genannte wird: Jättegrytta? Im Volksglauben haben irgendwelche Riesen oder Trolle in diesen kreisrunden Löchern im Boden (manchmal mit mehreren Metern Durchmesser und Tiefe!) ihr Essen zubereitet. Heute wissen wir aber dass hier keineswegs Trolle am Werk waren, sonder abschmelzendes Wasser der letzten Eiszeit Steine in Rotation versetzte, die sich langsam in den weicheren Untergrund einfrästen. Wenn ich da jetzt kopfüber rein plumpse komme ich nie wieder raus!
Ein anderer Stop im Örtchen Zinkgruvan. Hier gibt es ein aktives Erzbergwerk mit langer Geschichte. Im Knallaschaktet genannen Schacht hat 1896 ein gewisser Herr Nobel erste Experimente mit dem neuen Sprengstoff Nitroglyzerin unternommen. Offenbar hat hier offenbar öfter mal richtig geknallt, denn später kam er auf die Idee das Nitro zu binden und er erfand damit das Dynamit.
Das Highlight, im wahrsten Sinne des Wortes ein Höhepunkt, ist aber das Geocache „Utsikt över Storsjön – Aussicht über den Storsee“
https://www.geocaching.com/geocache/GC2VCHC_utsikt-over-storsjon
Beim Anhalten denke ich noch „Wo ist denn hier ne Aussicht? Die Dose liegt doch bestimmt in der Steinmauer!“ bis ich diesen Turm sehe! Whow, da muss ich rauf, was für eine bombastische Aussicht. Allerdings schwankt das Ding ganz schön, gut dass ich schwindelfrei bin.
Und wenn jetzt noch mal einer sagt, die Schweden hätten keinen Humor: hier eine kleine nicht ganz ernst gemeinte Geschwindigkeitsmessung mit Kameraüberwachung, vor einem abgelegenen einsamen Gehöft, an einem Schotterweg der kurz zuvor tatsächlich 140km/h zuliess. Ich sag da jetzt nicht mehr dazu. 95PS reichen jedenfalls locker. Ja, man darf da auch seine Kreditkarte in die Spardose einwerfen!
Und so hab ich auf dem Heimweg jede Menge Spass auf herrlichen kleinen Landstrassen und Schotterwegen. Los gefahren bin ich in Tiveden gegen 9:00, zu Hause war ich gegen 17:00. Schöner kann man 300km nicht abarbeiten!
Fazit: wer auf dem Weg von Göteborg nach Mittelschweden ist und sich gerne mal die Beine vertreten will – sei es nur mal für eine Stunde oder gleich nen ganzen Tag – der sollte den Tiveden Nationalpark nicht auslassen. Hier die Koordinaten des neuen Nationalparkzentrums:
N58 42.908 E14 35.562
2017 wird der Nationalpark durch Zukäufe von Land um gut 25% erweitert und bekommt nagelneue Besuchereinrichtungen. Dafür bezahle ich sogar gerne mal Steuern!