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Bitte entschuldigt die schlechte Qualität der Fotos, aber es handelt sich hier um Kopien von Kopien aus meiner alten Webseite nordicbiker.se!
Samstag der 18 Juni 2011. Ich bin seit 5 Uhr auf, die Nacht war reichlich kurz. Jetzt kurz nach 6 Uhr stehe ich im Stockholmer Värtahamnen (Fährhafen) und warte auf die Fähre der Silja Line nach Turku (die Schweden sagen Åbo) in Finnland. Kurz nach 6 biegt sie hinter mir um die Ecke und legt sich langsam seitlich an den Fähranleger.
Zeit für einer erstes Foto, denke ich mir. Die Kati stand über Nacht fertig gepackt in der verschlossenen Garage. Als ich aber meinen Tankrucksack öffne, um die Kamera raus zu holen ist der….
…leer!!! Oh nein, ich hatte ja gestern die Nikon D700 in’s Auto neben dem Motorrad gelegt, sicherheitshalber. Womit ich nicht rechnete war, dass ich sie dort ziemlich sicher vergesse. Ich denke kurz nach: soll ich jetzt wirklich meinen ersten Urlaub ganz ohne Kamera starten? Oder mir drüben in Finnland irgend eine Billigknipse besorgen? Neeeee, das geht nicht. Also schnell vor zum Checkin. 6:50 muss ich nach Aussage des Mädels dort aller spätestens wieder hier sein, wenn ich mitkommen will. Ich überlege nicht lange, blase mit Vollgas an den Autos vorbei und bin – unter sagen wir mal grosszügiger Auslegung der Geschwindigkeitsgrenzen – tatsächlich 18min später bei mir zu Hause. 18 Minuten für eine Stockholmdurchquerung – da wird sogar der Ghostrider neidisch! Schnell in die Garage, Kamera holen und zurück. Tatsächlich bin ich 6:40 wieder an der Fähre – das hätte ja noch für nen Kaffee zu Hause gereicht! Wie gut dass die Polizei um diese Zeit auch noch schläft.
So, nach dieser ersten Pleiten-, Pech- und Panneneinlage kann ja jetzt nichts mehr schief gehen. Dachte ich zumindest…
Die elfstündige Überfahrt vergeht dann bei herrlichem Wetter aber ohne weitere Pannen. Die meiste Zeit stehe ich oben auf Deck und geniesse die Aussicht, denn wir fahren ständig an kleineren oder grösseren Inseln und Felsen vorbei und es gibt immer etwas zu sehen, offenes Wasser gibts nur auf kürzeren Strecken.
Je näher wie Finnland kommen desto mehr nimmt dann aber leider auch die Wolkendecke zu. Zeichnet sich da etwas ein Trend für die kommenden zwei Wochen ab? Trotzdem: im Gegensatz zu vielen anderen Passagieren, deren hauptsächliches Ziel der Bootsfahrt der Vollrausch zu sein scheint, geniesse ich die Überfahrt mit klarem Kopf und ohne mir anschliessend mein Frühstück nochmal durch den Kopf gehen zu lassen.
Die Fähre legt abends pünktlich um 19:15 in Turku an und ich fahre auf direktem Weg nach Espoo. Die Eltern meiner guten Freundin Susanne hatten mich eingelanden, nochmal dort zu übernachten (sieht Tour 9). Am nächsten Morgen frühstücke ich mit Susanne, Karri und dem kleinen Emil, mache noch einen Spaziergang mit Babytrage vor dem Bauch (merkwürdiges Gefühl, ein fremdes Baby vor sich her zu tragen) und gegen 12 gehts dann wirklich los Richtung Norden. Das erste Stück noch Autobahn – dummerweise hatte ich die GPS Karte für Helsinki vergessen und muss deshalb „frei“ durch die Stadt navigieren – dann weiter über Landstrassen Richtung Norden. An diesem Tag komme ich noch bis Kangasniemi, einem Städchen, dass fast von allen Seiten von Seen umgeben ist. Unterwegs machen natürlich auch noch einige Geocaches meine Bekanntschaft und während der gesammten Tour sollten es noch viele mehr werden.
Kaum bin ich auf den Zeltplatz gerollt, höre ich auch schon deutsche Stimmen! Ein Gruppe junger Kerle hat die Frauen zu Hause gelassen und will die nächsten Tage mit Kanu die Seenlandschaft erkunden. Leider ist das Gepäck zweier Teilnehmer irgendwo während dem Flug auf der Strecke geblieben und jetzt wartet man. Aber immerhin, das wichtigste ist angekommen: die ersten beiden Fässer Paulaner sind schon angezapft und so komme ich noch unverhofft in den Genuss eines Bechers deutschen Biers!
Leider ist das nicht die einzige Flüssigkeit, mit deren ich engen Körperkontakt bekomme: in der Nacht fängt es an zu regnen und den gesammten nächsten Tag fahre ich im Regen. Die Rukka-Klamotten halten zwar dicht, immerhin sind sie in ihrem Heimatland. Irgendwann findet das Wasser aber immer seinen Weg und zieht langsam zum Kragen und an den Armen hinein. Bäh….!
Irgendwo zwischen Kangasniemi und Puolanka mache ich Halt an einem Strassenkaffee – das leider fest verschlossen ist. Bei dem Wetter sind allenfalls die Möven unterwegs, zahlende Gäste kann mal wohl kaum erwarten. Das Thermometer steht so um die 10 Grad. Hej ihr Finnen, nennt ihr das „Sommer“?
Der Regen will und will nicht aufhören. Da werden die nicht asphaltierten Wege zu einem besonderen Vergnügen! Vor allem aber nimmt der Verschleiss an einigen lebenswichtigen Teilen des Motorrades exponentiell mit der Luftfeuchtigkeit zu.
Mein Motorradhändler, der in der Woche vor meiner Abfahrt an der Kati die erste grosse Inspektion durchführte (15.000km, 700 Euro!!!) gab mir noch einen Satz Bremsbeläge für hinten mit und meinte noch „Die halten schon noch 1000km, aber dann musste mal nachschauen!“
Und wirklich, nach diesen ersten 1000km macht die hintere Bremse abends auf dem Supermarktparkplatz sehr merkwürdige Geräusche: es schleift schon Metall auf Metall! Ich schiebe die Kati auf dem Campingplatz unter das Dach des Grillplatzes und mache mich daran, die total abgeschliffenen Bremsbeläge gegen neue auszutauschen, die mir der KTM Händler mitgegeben hatte. Sie sind so dick, dass ich sie gerade so rein bekomme. Sollte eigentlich ne ganze Weile halten, dachte ich…
Welch eine Überraschung am nächsten Tag: es regnet noch immer. Mittlerweile hab ich mich ja daran gewöhnt, nur das Helmvisier des Schuberth C2 nervt: mache ich es völlig zu, fahre ich nach weniger als einer halben Minute im Nebel. Lasse ich es offen um das Beschlagen zu verhindern, läuft mir bald auch innen sie Sauce runter. Es hilft alles nichts, ich muss mich wohl daran gewöhnen. Man hält dann halt ab und zu mal an zum Brilleputzen.
Ich sehe zwar nicht so viel von der Landschaft links und rechts der Strasse, aber Finnland scheint hauptsächlich aus Wald und Seen zu bestehen. Immerhin haben die Finnen Humor und irgend einer von denen bastelt im langeweilen Winter witzige Skulpturen aus allerlei Schrott. Nach einem weiteren Regentag bin ich in Rovaniemi und schaue mir am Nachmittag das Arktikum an, ein wirklich schön gemachtes Museum über die Natur und die Menschen der arktischen Gebiete. Immerhin ist da drin trocken und warm.
Abgesehen vom Arktikum hat Rovaniemi aber auch leider gar nichts zu bieten. Ok, wir Deutschen sind nicht ganz unschuldig an der fehlenden Architektur des Ortes, denn die Stadt wurde von der Wehrmacht 1944 komplett zerstört (möglicherweise sprengte man absichtlich im Bahnhof einen Munitionszug, was zu einem Flächenbrand führte).
Und natürlich liegt die Luftfeuchtigkeit noch immer weit über 100% als ich am nächsten Tag nach Inari aufbreche. Die Mischung aus Dreck und Wasser, die sich bald über das ganze Motorrad legt, erinnert mich sehr an dünnflüssigen Zement!
Irgendwo im Wald mache ich eine kurze Pinkelpause. Hoppla, da liegt ja eine Plastikplatte, könnte man als Unterlage für den Seitenständer verwenden, denke ich. Ne, besser nicht, denn als ich die „Plastikplatte“ aufhebe und umdrehe entpuppt sie sich als Munitionsmagazin! Hat wahrscheinlich ein Jäger hier im letzten Winter verloren, aber das Motorrad sollte ich da wohl besser nicht draufstellen!
Die Landschaft um mich rum wird jetzt immer arktischer: die Bäume schrumpfen, weite Moore dominieren die Landschaft. Oftmals werden hier Bretterzäune aufgestellt, um die Schneeverwehungen im Winter zu reduzieren. So weit bin ich jetzt auch nicht mehr von Schnee entfernt, das Thermometer will partout nicht mehr über die 10 Grad Marke.
In Inari besuche ich noch das Samenmuseum, wirklich sehenswert. Angeschlossen ist ein Freilichtmuseum mit mehreren aus der Umgebung zusammengetragenen alten Höfen, aber die lasse ich aus, das kenn ich ja schon aus Skansen in Stockholm. Als ich dann ein Geocache östlich der Stadt loggen will, öffnen sich alle Schleusen und ich glaub ich steh unter der Dusche. Äääähhh was soll das jetzt, womit hab ich das verdient? Ich fahre auf den Campingplatz 500m weiter, aber der Besitzer legt die Hüttenpreise wohl wetterabhängig fest. Ne, 50 Teuronen sind mir dann doch zu viel, aus Trotz wird heute wild gecampt! Es dauert eine Weile bis ich ein geeignetes Plätzchen finde. Viel Finnen haben hier ein Ferienhäusschen. Steht ein Briefkasten an einem Schotterweg, braucht man eigentlich gar nicht erst rein zu fahren. Schliesslich finde ich einen ruhigen und versteckten Zeltplatz in einer ehemaligen Sandgrube.
Am Abend schau ich zufällig nochmal auf meine hinteren Bremsbeläge – und ich glaub mich trifft der Schlag! Die sind schon wieder weg! Ja wirklich, einer der beiden Beläge ich schon fast wieder bis auf die Trägerplatte runter! Das gibts doch nicht, was soll denn diese Sch…, ich steht doch schliesslich nicht ständig auf der Bremse! Das Mysterium wird wohl nie gelöst werden, aber nach gerade mal drei Tagen und 600km sind die neuen Beläge für die Tonne. War wohl eine Kombination aus Sand, Wasser und mieser chinesischer Wertarbeit! Wo um Himmelswillen soll ich hier oben neue Bremsbeläge her bekommen? Da werd ich wohl in Kirkenes mal auf die Suche nach nem Motorradhändler gehen müssen. Nur: hier fährt man in 11 Monaten im Jahr Motorschlitten aber nicht Motorrad! Aber erstmal weiter ohne Bremse…
In der Gegend wurde nach dem zweiten Weltkrieg eine grosse Gruppe Samen angesiedelt, die zuvor weiter östlich in Gebieten lebten, die dann Russland zugeschlagen wurden. Sie brachten ihre christlich-orthodoxe Religion mit und deshalb sind alle Kreuze auf den Friedhöfen hier oben mit diesem „Querstrich“ versehen. Und am Tor zum Friedhof hängt ein Zettel mit der Bitte, das Tor wieder gut zu verschliessen, damit die Rene nicht eindringen und die Flechten von den Gräbern fressen! Blumen auf Gräbern haben hier im Norden wohl keine lange Lebenserwartung!
Von der Hauptstrasse aus entdecke ich einen Schotterweg auf einen kleinen Berg mit Mobiltelefonantenne, der also fahrbar sein sollte. Und wirklich, die grobe Piste lohnt sich, oben bietet sich eine fantastische Aussicht und sogar die Sonne blinzelt mal kurz durch. Dann aber fällt mir ein: ich hab ja keine hintere Bremse mehr. Na das kann ja spannend werden! Gut dass der V2 eine starke Motorbremswirkung hat, ich lass mich einfach im zweiten ohne Gas ganz vorsichtig runterrollen.
Kurz darauf dann die Grenze zu Norwegen!
Ich halte kurz in Kirkenes um mich nach einem Campingplatz zu erkunden, an dem ich wohl gerade blind vorbei gefahren war. Nachdem ich Zelt und den ganzen anderen Krempel (Ja Svenja, ich gestehe, ich hatte viel zu viel dabei!) abgeladen habe, gehts zum eigentlichen Ziel der Reise:
Grense Jakobselv liegt im äussersten Nordosten Norwegens an der Grenze zu Russland! Hier komme ich auch zum ersten Mal an die Barentssee, das Nordpolarmeer.Allerdings bin ich nicht der Einzige, der diesen merkwürdigen Ort am Ende der Welt für sich entdeckt hat. Der kleine Parkplatz ist fest in der Hand einiger deutscher und holländischer Wohnmobilcamper.
Wer hier wohl mal wohnte? Die Häuser wirken verlassen, zwar steht ein Auto vor der Tür, ich vermute aber stark dass die Häuser heute nur noch als Ferien- und Wochenendhäuser bewohnt sind.
Hier hat man wirklich das Gefühl am Ende Europas angekommen zu sein. Das da drüben, da oben auf dem Berg, das ist der russische Grenzbeobachtungposten. Der Fluss Jakobselv, der hier in’s Meer mündet, ist die offizielle Grenze zwischen Norwegen und Russland. Die beiden Länder stossen hier auf 80km Länge aneinander. Hinter meinem Rücken gibts ne ähnliche Station, da stehen die Norweger oben auf’m Berg und beobachten die Russen drüben mit dem Fernglas.
Auch ein Paar Rene treiben sich hier frei rum. Die sind wahrscheinlich die einzigen, die legal die Grenze überqueren dürfen, für alle Zweibeiner steht das unter Strafe. Diese Grenze zwischen Ost und West wird auch heute noch scharf bewacht und erinnert mich deshalb sehr an die Grenze BRD-DDR, in deren nächster Nähe ich ja aufgewachsen bin.
Die Staatgrenze verläuft wie gesagt in der Mitte des Flusses. Auf norwegischer Seite ist sie durch gelbe Pfosten markiert, auf russischer Seite mit rot-grünen. Das kursiose aber: laut Garmin ist hier wirklich die Welt zu Ende, auf der anderen Seite des Flusse gibt es…
…nichts! Nur ne schraffierte Fläche auf meinem GPS!
Ein weiteres Anzeichen, dass ich so weit östlich bin wie noch nie zuvor: die nächste grössere Stadt in östlicher Richtung ist Murmansk, hier sogar schon in kyrillischer Schrift ausgeschildert!
Und auf dem Weg zurück nach Kirkenes fährt man am einzigen russisch-norwegischen Grenzübergang vorbei. Immer wieder begegnen mir hier freundliche norwegische Grenzsoldaten auf… ja, wie nennt man ein sechsrädriges Quad? Sie grüssen mir als Motorradfahrer sogar freundlich zu. Ist das Dienstvorschrift, oder sind die wirklich so nett?
Ab dem 25. Juni werde ich ja zwei Tage mit der Hurtigruten unterwegs sein, dem Postschiff dass seit über 100 Jahren entlang der norwegischen Küste 11 Tage lang zwischen Bergen und Kirkenes unterwegs ist und dort zahlreiche grössere und kleiner Orte anläuft. Klar, ich könnte auch direkt in Kirkenes zusteigen. Ich möchte aber die Landschaft hier oben am Polarmeer erleben und habe deshalb die Fahrt ab dem Örtchen Mehamn gebucht, etwa 450 Strassenkilometer westlich von Kirkenes.
Ach ja: Bremsbeläge lassen sich in Kirkenes natürlich nicht auftreiben, deshalb bestelle ich mir einen Satz bei einem Händler in Oslo und lasse sie mir zum Endhafen meiner Hurtigrutenreisen nach Örnes schicken, wo ich in fünf Tagen wieder vom Schiff steigen werde. Das sollte zeitlich eigentlich reichen.
Früher war das Hauptprodukt der Gegend – so wie ganz Nordnorwegens der Trockenfisch, aber heute sieht man die traditionellen Trockengestelle nur noch selten. Der meiste Fisch geht frisch oder gefroren über den Ladentisch, Trocknen zur Konservierung ist nicht mehr notwendig.
Leider ist auch hier oben Sonne Mangelware. Richtig interessant wird’s auf dem letzten Stück nach Mehamn. Die Strasse geht hier über die Berg und die Landschaft um mich rum – soweit ich sie überhaupt sehen kann – sieht aus wie auf 2000m in Zentralnorwegen. Nur dass ich hier gerade mal 300m über dem Meeresspiegel fahre! Sicht nach vorne: 50m. Sicht nach hinten, links und rechts: 50m. Wo ist eigentlich die Landschaft? Dazu starker Wind von links und Temperatur um die 4 Grad. Nicht gerade optimales Motorradwetter…!
Nach dieser spannenden Fjellüberquerung bin ich gegen 21:30 in Mehamn, wo um 01:15 die Hurtigruten anlegen soll. Mehamn hat immerhin 1.400 Einwohner, aber wo sind die alle am Samstag Abend? Kein Mensch auf der Strasse, keine Kneipe, nichts!
Ich fahre nochmal kurz durch den Ort und erreiche dabei meine bisher nördlichste Position, gerade mal 7 Grad südlicher als das Nordkap.
Ganz Mehamn ist verschlossen, ich muss mich also im beheizten Aufenthaltsraum der Hurtigruten vier Stunden lang selbst beschäftigen. Nachdem ich alle Reiseprospekte durchgelesen habe rolle ich schliesslich meine Isomatte aus und mache ein Nickerchen. Ist ja schliesslich fast Mitternacht!
Pünktlich wie die Eisenbahn um 01:13 schiebt sich die Richard With (benannt nach dem Gründer der Hurtigruten) langsam an den Kai, der Mann im Gabelstapler wartet schon und eh ich mich versehe beginnt Teil 2 meiner langen Reise „Rauf, rum und wieder runter“! Aber das ist eine ganz andere Geschiche, wie man so schön sagt…!